
Wie „Evanescence“ die Nacht beben lassen, „Papa Roach“ für Gänsehaut sorgen und die „Foo Fighters“ ihren neuen Drummer feiern. Sogar die Flippers mischen mit.
Nürburgring. Vollmond über dem Nürburgring. Sternenklarer Himmel, die letzten Klänge der „Kings of Leon“ hallen über das Gelände. Es gibt nur eine, die diese Nacht bei Deutschland bekanntestem Rockfestival „Rock am Ring“ danach noch weiter zum Glühen bringen kann: Amy Lee von „Evanescence“. Nach der viel gefeierten und von Hits gespickten Show der „Kings of Leon“ pilgern die zigtausenden Fans zur gegenüberliegenden Bühne. Die Grande Dame des Gothic Rock gibt sich die Ehre. Die Late-Night-Show wird zum Highlight des Samstags. Mit wehendem Haar und ebensolchem Mantel lässt die Ausnahmekünstlerin die Eifelidylle für eineinhalb Stunden geradezu bersten. Gänsehaut macht sich auf der Rennstrecke breit – insbesondere, als Jacoby Shaddix, Frontmann der Band „Papa Roach“ zur Zugabe bei „Bring me to Life“ mit auf die Bühne kommt. Mehr geht nicht nachts um 2 Uhr mitten in der Eifel.
Dass Jacoby Shaddix um die nachtschlafende Uhrzeit noch fit ist, wundert nicht – nach der sensationellen „Papa Roach“-Gala vier Stunden früher am Abend auf derselben Bühne dürfte noch genügend Adrenalin für einen Nacht-Überraschungsauftritt übrig sein. Nicht nur die Moshpit-Party-Gemeinde allerdings hatte er beim Gig seiner Band im Blick. In einem emotionalen Aufruf appelliert er daran, auch bei schwierigen Situationen im Leben keine Entscheidungen zu treffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind – zu viele Menschen habe man durch Suizid verloren. Das Leben feiern – das geht bei „Papa Roach“ besonders gut mit deren großem Hit „Last Resort“ – und der lässt zur Zugabe die Menge toben.
Dass man am Ring gerne gemeinsame Sache macht, ist nicht Neues – und so gibt sich „Evanescence“-Frontfrau Amy Lee zuvor bei „Tenacious D“ die Ehre. Die Party reißt seit Freitagmittag nicht ab auf dem Nürburgring: Bässe wummern, die Sonne knallt, Bierdosen zischen. Rock am Ring ist in die zweite Nach-Corona-Auflage gestartet – und das mit einem Line-Up, das bei Rock-Fans den Festival-Party-Modus auf den Plan ruft. Vor der Hauptbühne geht ohne Sonnenhut, den eine bekannte Chips-Marke kostenlos verteilt hat nix. Feuerfontänen heizen ein, der Boden brennt unter der Sonne. Und dann kommt auch noch ein Glitzerbarde daher, der die Menge erst recht zum Schwofen bringt: „Olaf der Flipper“, von der Kultschlagerband „Die Flippers“ gönnt dem Nürburgring einen Überraschungsauftritt. Die partyerprobten Festivalgäste grölen natürlich sofort Wort für Wort mit – schließlich gibt’s ja was zu feiern: „Wir sagen Dankeschön! 40 Jahre die Flippers!“
Heißt natürlich nicht, dass die Rockfans nicht auf ihre Kosten kommen – im Gegenteil: „Limp Bizkit“ haben ihre großen Hits dabei, „Rise Against“ sind auch nicht zum ersten Mal am Ring dabei – und die „Foo Fighters“ sorgen für eine ganz besondere Show. Emotional wird es, als Frontmann Dave Grohl den neuen Schlagzeuger, Josh Freese, vorstellt. Der beerbt Taylor Hawkins, der im vergangenen Jahr überraschend verstorben war. Dass die Band trotz einer impulsiven und kraftvollen Drums-Performance des „Neuen“, noch nicht ganz über dessen Tod hinweg ist, ist zu spüren. Vielleicht auch deshalb holt sich Dave Grohl familiäre Unterstützung auf die Bühne: Seine Tochter Violet, die auch auf dem neuen Album „But here we are“ zu hören ist, ist an diesem Abend, an dem die „Foo Fighters“ ihr erstes Europakonzert mit neuem Drummer spielen, Teil der Band. „Apache 207“ räumt an seiner Edel-Tankstelle, die er auf der „Mandora Stage“ aufgebaut hat, richtig ab. Mit Proleten-Mercedes und einem wilden Ritt per Boot durch die Menge sorgt er dafür, dass den tausenden Fans auch bei frostigen 8 Grad in der Eifelnacht so schnell nicht kalt wird.
„K.I.Z“ machen sich am Samstag doch glatt daran, den Headlinern „Kings of Leon“ den Rang abzulaufen. Bei der Show direkt aus der „Nervenheilanstalt“-Kulisse ist die Menge außer Rand und Band.
70.000 sind es, die am Ring mitfeiern. Ausverkauft ist das Festival damit zwar nicht, die Stimmung ist aber durchaus mit der von 2022, als 90.000 nach der Pandemie die Festival-Wiedergeburt feierten, vergleichbar. Festival-Pressesprecherin Steffi Kim, die Polizei und die Rettungsdienste ziehen am frühen Samstagabend ein positives Zwischenfazit. Kaum bemerkenswerte Zwischenfälle, dabei, so Steffi Kim vom Veranstalter „Dreamhaus“, „das beste Rock-am-Ring-Wetter seit 30 Jahren.“
Der Sonntag wird dann fast schon traditionell beschlossen: Schließlich spielen nicht nur „Machine Gun Kelly“, „Bullet for my Valentine“, „Bring me the Horizon“, sondern auch die wohl dienstältesten Ring-Punks der „Toten Hosen“.