Das Stück „Das Letzte Parlament“ wird im Plenarsaal des rheinland-pfälzischen Landtages aufgeführt. „Dass wir im Landtag spielen dürfen, dass die Politik sich ganz bewusst die Kunst ins Haus holt, ist ein starkes Zeichen für Demokratie“, sagt der Mainzer Intendant Markus Müller.
Von Markus Müller
Seit der Spielzeit 2014/15 ist Markus Müller Intendant des Staatstheaters Mainz.
(Foto: Staatstheater)
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Mit Björn Bickers „Das letzte Parlament (Ghost Story)“ im rheinland-pfälzischen Landtag und Friedrich Schillers „Maria Stuart“ im Großen Haus haben wir die Spielzeit 2018/19 eröffnet. Eine doppelte Setzung, inhaltlich eingefasst durch eine politische Klammer.
Theater im Landtag: Die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen in den Abgeordnetensesseln, das Ensemble bespielt den gesamten Raum, das Rednerpult, den Stenografenplatz, die Besuchertribüne. Und während wir damit ganz aktuell vor Ort den Parlamentarismus unter die Theaterlupe nehmen, beklagt sich unweit davon im Theater auf der großen Bühne Königin Elisabeth über die Zumutungen des Volkswillens. Nach „keines Menschen Beifall“ will sie fragen müssen beim Regieren. Und verächtlich fällt ihr Urteil über ihr Volk aus, für sie ist es bloß die „Menge, der der Gaukler nur gefällt“.
Über 200 Jahre liegen zwischen „Maria Stuart“ und der Uraufführung „Das letzte Parlament (Ghost Story)“. Mittlerweile hat uns die Aufklärung geprägt, unsere Gesellschaftsform ist die Demokratie. Doch das Verhältnis zwischen Volk und Regierenden, der schmale Grat zwischen politisch populär und populistisch sind ein komplexes und beherrschendes Thema geblieben. Wie sehr sehen sich Politiker heute gezwungen, für uns den Gaukler zu geben? Wie viel Vereinfachung brauchen wir tatsächlich – oder darf es nicht differenzierter zugehen als in manchen Wortbeiträgen mediengeschulter Rhetoriker?
Seit der Spielzeit 2014/15 ist Markus Müller Intendant des Staatstheaters Mainz. Foto: Staatstheater
Die Inszenierung hält mit doppeltem Rollenspiel Politikern und Zuschauern den Spiegel vor.
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Der Mensch „ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, schreibt Friedrich Schiller. Spielend besinnt er sich zurück auf das Ästhetische und kann so zu mancher Erkenntnis gelangen. Eben darin sehen wir als Theater unsere Aufgabe. Wenn wir spielen, wo sonst Politik gemacht wird, ersetzen wir das Wirkliche durch das Mögliche. „Das letzte Parlament“ ist eine Dystopie, eine erschreckende Zukunftsvision. Die ist im Theater ebenso wichtig wie ihr positives Gegenüber, die Utopie. Sich auszumalen, was schlimmsten- oder bestenfalls geschehen kann, ohne Rücksicht auf pragmatische Beschränkungen, hilft beim freien Denken. In Björn Bickers Stück ist die parlamentarische Demokratie am Ende, der Landtag mit Recht im Museum angekommen. An ihre Stelle setzt der Autor die Vision einer Kinderherrschaft, wissend, dass das nur eine Scheinlösung ist. Allenthalben sehen wir das Ende der postheroischen Zeiten: Immer weniger glauben an die Stärke demokratischer Einrichtungen als solche. Nationalistische Autokraten erobern als negative Heroen in weiten Teilen Europas die politische Bühne zurück. Hat die Aufklärung versagt? „Sapere aude“ – „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“: Wenn Immanuel Kants Leitspruch noch gilt, lohnt es sich nicht, für unsere bestehenden demokratischen Institutionen zu kämpfen und unsere Verantwortung über das Abgeben des Wahlzettels hinaus anzunehmen?
AUFFÜHRUNGEN
„Das letzte Parlament (Ghost Story)“von Björn Bicker in der Inszenierung von Brit Bartkowiak ist noch am 29. September, 13. und 28. Oktober sowie am 8. November im Plenarsaal des Landtags in der Steinhalle des Landesmuseums zu sehen, Beginn jeweils 19.30 Uhr.
Zur Debatte
(mij). Das Vertrauen der Menschen in die Kraft der parlamentarischen Demokratie scheint mehr und mehr zu erodieren, während in ganz Europa Nationalismus und Rechtspopulismus erstarken. Ist der demokratische Wettstreit um die besten Ideen und Argumente ein Auslaufmodell? Gehört die Demokratie ins Museum, wie es die provokante Inszenierung „Das letzte Parlament“ von Björn Bicker im provisorischen Plenarsaal des Mainzer Landtags in der Steinhalle des Landesmuseums vorspielt? In der aktuellen Debatte um Politikverdrossenheit und einer Legitimationskrise der etablierten Parteien nehmen Staatstheater-Intendant Markus Müller und der Präsident des rheinland-pfälzischen Landtags, Hendrik Hering, aus unterschiedlichen Blickwinkeln Stellung zu dem Stück und der Zukunft des Parlamentarismus.
Im Parlament tanzen unsere Spieler den politischen Repräsentanten vor der Nase herum wie früher der Hofnarr vor dem Thron. Der war ganz nah an den Mächtigen, nahm sich heraus, was sonst keiner durfte. Zugleich ist er eine ambivalente Figur, nicht immer sagt er die Wahrheit, kann manipulieren, verzerren – narren eben. Aber genau damit zwingt er zum Denken und zeigt dorthin, wo es kneift. Natürlich sind wir nicht mehr bei Hofe und jeder kann in der Demokratie fast alles sagen, was er denkt. Aber wenn unsere Schauspieler im Landtag in die Rollen der Abgeordneten, der rüstigen Rentner, der blinden Stenografin und der Lehrer schlüpfen, dann fordern sie uns heraus, diesen Rollenwechsel mitzudenken. Empathie heißt, sich in jemand anders hineinzufantasieren. Und ehe wir aus moralischer Distanz mit dem Finger auf die frustrierten, ach so oberflächlich-zynischen Abgeordneten zeigen, sollten wir kurz in den Narrenspiegel schauen, den das Schauspiel uns vorhält. Dann nämlich sehen wir im letzten Parlament in den Sesseln der Parlamentarier: uns selbst!
Dass wir im Landtag spielen dürfen, dass die Politik sich ganz bewusst die Kunst ins Haus holt, ist ein starkes Zeichen für Demokratie. Die Courage, die der Landtagspräsident und die Abgeordneten damit beweisen, beeindruckt mich. Sie konnten nicht wissen, was wir tun, sie haben uns ohne jede Einschränkung unsere Freiheit gelassen. Unser Leitmotiv in dieser Spielzeit ist „Transparenz“ – ebenfalls ein ambivalenter Begriff. Doch durch die Öffnung des Landtags für die künstlerische Auseinandersetzung wird er positiv mit Inhalt gefüllt.
Brit Bartkowiaks Inszenierung „Das letzte Parlament“ lädt zu einem doppelten Rollenspiel ein. Niemand muss mitspielen, nur zusehen und möglicherweise Schlussfolgerungen ziehen. In der Demokratie delegieren wir politisches Handeln an Volksvertreter. Die Verantwortung können wir nicht delegieren. Zumal in Zeiten wie diesen.