Liesel und Johannes Metten im Garten ihres Hauses in Nieder-Olm. Archivfoto: Sascha Kopp
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NIEDER-OLM - Kunst überall. Schon an der Haustür bei der Suche nach der Klingel ist der Besucher gut beraten, alle Scheu vor künstlerischen Einlassungen abzulegen und beherzt nach dem kecken Bronzeteufelchen zu greifen, das rechts neben der Tür baumelt. Keine Elektronik, nirgends: Wer das Bildhauerpaar Johannes und Liesel Metten in seinem schönen alten Haus in Nieder-Olm an der Pariser Straße aufsuchen will, muss den bronzenen Beelzebub am Band so lange in Schwingung versetzen, bis scheppernd der Klöppel einer kupfernen Glocke anschlägt und von der Ankunft kündet.
Im Hause Metten ist alles voller Kunst, nicht nur die Wände. Hier lebt man mit der Kunst. Die Türen sind bunt bemalt, Anrichte, Ablage, Schreibzimmer, alles ist angefüllt mit Büchern und Skulpturen. Hausherr Johannes Metten, mit seinem langen weißen Bart der ruhende Pol im Haus, hat im ehemaligen Weinkeller eine kleine Retrospektive seiner Skulpturen aus über 30 Jahren aufgebaut. Ehefrau Liesel ist auch jetzt, kurz vor ihrem 80. Geburtstag, so umtriebig und entdeckerfreudig wie in jungen Jahren, als selbst die Versorgung der fünf Kinder den Schaffensdrang nicht zum Erliegen brachte: Sie tüftelt in der Scheune daneben an immer neuen Tieren aus Ton, Styropor, Gipsbinden.
Die in Bronze gegossenen Entsprechungen warten in häufig wechselnder Besetzung im Hof. Fabeltiere zuhauf: ein Wunderwesen mit Korkenzieherhorn, ein stoisch die runde Nase in die Welt reckender „Schwanzroller“ – sie alle sind Fantasiegeschöpfe, die mühelos die Brücke bauen zwischen Archaischem und Märchenhaftem. Im weitläufigen Garten geht das weiter: Ein majestätischer Bronzeschmetterling, nahezu mannshoch, grüßt da mit spitzen Flügeln aus dem Pflanzengewucher. Und ganz hinten, vorbei an diversen spargeldünnen Torsi von Ehemann Johannes, meckert an einem windschiefen Gatter eine Herde Ziegen, aus deren Milch Tochter Stefani einen wunderbaren Käse gewinnt.
ZUR SERIE
In unserer Reihe stellen wir in loser Folge Paare vor, bei denen beide Partner einen kreativen Beruf haben. Was bedeutet das für das gemeinsame Leben? Eher Bereicherung oder Erschwernis?
bildband und ausstellungen
Zu Liesel Mettens bevorstehendem 80. Geburtstag erscheint im Göttinger Verlag der Kunst der Bildband „Liesel Metten. Metamorphosen“, herausgegeben von Jens Frederiksen, lange Jahre Feuilletonchef der Allgemeinen Zeitung Mainz und Autor dieses Beitrags, sowie Wolfgang Bunzel vom Frankfurter Goethehaus (Großformat, 64 S., 19.90 Euro). Erhältlich ab 18. Dezember im Buchhandel und im Mainzer Service-Center dieser Zeitung sowie im Internet unter www.gvdkunst.de.
Ebenfalls aus Anlass des 80. Geburtstags der Künstlerin findet ab Januar eine große, fünfteilige Retrospektive statt: Im Rathaus, im Eisenturm und der MVB-Galerie in Mainz, dazu in den Kunstvereinen Ingelheim und Essenheim.
Niemanden wird es überraschen, dass auch das Haus selber seinen Kunsthintergrund hat. Das Mettenhaus, übernommen von Johannes Mettens Vater Andreas, beherbergte ab 1870 die Wirtschaft „Zur schönen Aussicht“. Und die war Hauptschauplatz von Wilhelm Holzamers Nieder-Olm-Roman „Vor Jahr und Tag“ aus dem Jahre 1907. Zum gemeinsamen Domizil und Schaffensmittelpunkt des Künstlerehepaares wurden Haus und angrenzende Scheune nach der Heirat 1961. Kennengelernt hatten sich die beiden 1958 auf einer Studienfahrt der Münchner Akademie zur Weltausstellung in Brüssel. 1960 richtete Johannes Metten im Nieder-Olmer Anwesen eine Gießerei ein, und bereits 1961 luden er und seine junge Frau zum ersten Gussfest, bei dem eigene Entwürfe aus Wachs und Gips in Bronze gegossen wurden. „Wir verschickten 30 Einladungen – und es kamen drei“, erinnert sich Liesel Metten. Zwei Jahre später waren es 50 Einladungen, aber plötzlich tummelten sich 150 Gäste. Der Name Metten hatte zu klingen begonnen.
Bis sich jene künstlerischen Handschriften herausbildeten, die längst zu Markenzeichen geworden sind, sollte es allerdings noch ein paar Jahre dauern. Johannes Metten ist bekannt für seine „Mutanten“: am Rande zur Abstraktion balancierende, gertenschlanke Variationen des uralten Bildhauerthemas Mensch. Erst zehn Jahre nach seiner Rückkehr von der Akademie nach Nieder-Olm, so erzählt er, habe sich ein eigenständiger Formenkanon herausgebildet, der schließlich in dieser Werkgruppe gipfelte.
Liesel Metten hingegen arbeitete von Beginn an als Tierbildhauerin. Als Kind hat sie Insektenforscherin werden wollen. Irgendwann aber entdeckt sie, dass es ihr mehr Freude macht, eigene Tiere zu erfinden. Forthin formt sie ihre selbstersonnene Menagerie und findet dabei zu einem so robusten, augenzwinkernd naiven Stil, dass nie auch nur ein Anflug von Süßlichkeit aufkommt.
Unterdessen gehen die Gussfeste weiter – bald sind es zwei im Jahr: ein großes für die wachsende Zahl von Sammlern, und ein kleines für die Kinder. 30 Jahre geht das so. 1991 kommt der Zweitwohnsitz Bacharach hinzu: Im Haus an der Bahnlinie lädt in Abständen die „Galerie am Strom“ zum Besuch.
Johannes Metten experimentiert inzwischen mit farbigen Styropor-Elementen, Liesel Metten erprobt immer neue Techniken an ihren Tiermotiven, malt Einhörner in Acryl oder stickt ihre Vogelmenschen in Papier und Leinwand. Und manchmal kann der Durchreisende in Nieder-Olm auf dem Gehweg ein freundliches Paar gesetzten Alters Hand in Hand Richtung Ortskern oder Selz gehen sehen. Der Herr mit Bart und Gehrock ist nicht mehr besonders gut zu Fuß, seine Begleiterin hat Probleme mit den Augen. Sie geht trotzdem meist einen halben Schritt voraus, ihr Mann sichert das Terrain mit Bedächtigkeit zur Seite und nach hinten ab. Seit Jahrzehnten sind sich die beiden gegenseitig ein Halt – und finden zuverlässig ihren Weg.