Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt zeigt die Ausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Zeit“. Die Schau versammelt rund 200 Werke von 62 Künstlerinnen und Künstlern...
FRANKFURT. Goldene Epoche? Pulsierendes Leben in den Metropolen der ersten deutschen Demokratie, Fortschritt und konstruktives Design – das ist nur die eine Seite der Zwanzigerjahre. Die Hinterhöfe dagegen beleuchtet jetzt eine Ausstellung, die nicht nur den Glanz, sondern vor allem das Elend der Weimarer Republik in den Fokus rückt: Die gleichnamige Schau in der Schirn zeigt das dräuende Unbehagen jener Jahre zwischen 1918 und 1933, deren „Geschichte man vom Ende her liest“, so Kuratorin Ingrid Pfeiffer.
Vom Ende her – das meint die Machtergreifung der Nazis und den Zweiten Weltkrieg. Und in der Tat lassen sich in den rund 200 internationalen Leihgaben von 62 Künstlerinnen und Künstlern prophetische Ausblicke auf eine braune Zukunft entdecken. Wenn beispielsweise bei einem Georg Scholz schon die ersten Hakenkreuze am Revers seines dem Mann’schen „Untertan“ nachempfundenen Personals auszumachen sind, dann zeugt das von einer Scharfsichtigkeit, die Zukünftiges vorwegnimmt.
Die unbeteiligten Gesichter der Neuen Sachlichkeit
Überhaupt ist die Auswahl, die Ingrid Pfeiffer getroffen hat, geprägt von Werken mit politischer und gesellschaftlicher Kritik. Der Stil ist die Neue Sachlichkeit mit ihren kühlen, wie unbeteiligt wirkenden Gemälden und Grafiken. Sie erzählen vom Leben der Menschen in Themenkomplexen wie Industrialisierung, Politik und Sport, Vergnügungsindustrie und Prostitution, Homosexualität, Abtreibung und der neuen Rolle der Frau.
So bekommt der Besucher en passant auch eine höchst spannende Lehrstunde in Geschichte. Aber die Kunst kann mehr, als diese nur zu illustrieren: Otto Dix und George Grosz werden zu Warnern, die dem Leben auf der Straße zuschauen und die Untiefen dahinter aufdecken. Viele ihrer ausgemergelten Figuren stehen für die 1,5 Millionen Versehrten aus dem Ersten Weltkrieg, andere für die vielen Frauen in den diversen Etablissements. Das „lasterhafte Berlin“ wird vor allem durch diese Maler berühmt: Als Chronisten eines Verfalls der Gesellschaft, die sich lieber im Admiralspalast oder anderen Kabarett- und Revue-Tempeln vergnügt, als sich mit den Gründen und Folgen der politischen Verwerfungen auseinanderzusetzen. Der berühmte „Tanz auf dem Vulkan“ – in diesen eindringlichen Bildern stampft sein Rhythmus.
Und das nicht nur in denen der bekannten Protagonisten. Karl Völker zum Beispiel lässt sich mit dieser Schau entdecken: Seine stereotypen Figuren mit ihren helmartigen Köpfen und verkniffenen Mündern im Kaffeehaus oder auf der Straße laufen wie ferngesteuert durch ihr Leben. Oder Rudolf Schlichter mit seinen fahlen Porträts. Oder Rudolf Bergander mit den saftigen Bordellszenen, die viel vom Milieu erzählen. Grotesk und düster ist einiges davon, doppelbödig und innerlich aufgeladen. Die Zwanziger zeigen in diesen Bildern so manchen falschen Fuffziger.
Die Blätter der Illustratorin Dodo (eigentlich Dörte Clara Wolff) hingegen gehören eher der Glanz-Seite der Weimarer Zeit an – mit ihren glamourösen Flaneuren im Art-Deco-Stil, der die satirische Zeitschrift „Ulk“ prägte. Das Werk dieser schillernden Persönlichkeit ist fast in Vergessenheit geraten und wird erst seit einigen Jahren wieder erforscht. Auch die scharfsichtige Jeanne Mammen, von der hier einige herbe, anmutige Arbeiten zu sehen, ist eine solch späte Ausgrabung – die Berlinische Galerie widmet ihr gerade eine Retrospektive.
Ingrid Pfeiffer, seit 2001 Kuratorin an der Schirn und zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum Wiesbaden, legt in ihrer sehr sehenswerten Schau generell einen Schwerpunkt auf die weibliche Sicht. Über 30 Prozent sind Künstlerinnen – nach wie vor eine Seltenheit im Ausstellungsbetrieb.
Von Prostitution bis zur Stenotypistin
Und diese widmen sich auch Themen wie der zunehmenden Prostitution, dem damals heftig umstrittenen Paragrafen 218 und den Berufsbildern, in denen Frauen nach dem Ersten Weltkrieg arbeiten: als Telefonistin und Stenotypistin, aber auch als Akademikerin dank liberalerer Gesetze. Dargestellt wird diese „neue Frau“ oft knabenhaft mit Bubikopf und maskulinen Accessoires. Und streitbar eintretend gegen politische Bevormundung.
Und die Politik schwingt ohnehin immer mit in der Schau, die schon im Treppenhaus zur Galerie mit Plakaten einstimmt, die aus unserer Sicht als sehr direkt agitierend, bisweilen als platt empfunden werden. Die Gemälde dann allerdings haben eine zeitlose Modernität. Und eine mahnende Intensität, der man sich auch und gerade heute nicht verschließen kann.