Ach, dieser Weltschmerz !

In Schwermut vereint: Leonce (Julian von Hansemann) und Lena (Gesa Geue) haben sich gefunden. Obwohl sie sich erst gar nicht wollten. Foto: Martina Pipprich
MAINZ - Eine Herausforderung – so kann man K.D. Schmidts jüngstes Mainzer Regie-Unterfangen schon nennen: Georg Büchners „Leonce und Lena“ ist kein einfaches Stück, zumindest nicht für das Gegenwartstheater. Sicherlich steckt in dem Lustspiel, das Büchner 1836 zu Papier brachte, auch viel Zeitloses zu Langeweile, Melancholie und der exzessiven Nabelschau wohlstandsverwahrloster Menschen. Andererseits handelt es sich eben nicht um irgendwelche wohlstandsverwahrlosten Melancholiker. Der sozialrevolutionäre Denker, der Büchner Zeit seines kurzen Lebens war, nimmt in „Leonce und Lena“ gezielt den Adel aufs Korn, spezifisch den provinziellen Kleinstaat-Adel der unzähligen Fürstentümer des Deutschen Bundes. Wäre seine Satire direkt nach Entstehung auf die Bühne gekommen, nicht erst 1895, sie hätte vor dem Hintergrund der durch den Wiener Kongress eingeleiteten Restauration und der dagegen aufbegehrenden Vormärz-Bewegung soziale Sprengkraft entfesselt.
Vielleicht konsequent, keine Aktualisierung zu versuchen
Diese Sprengkraft hat ihr die Zeit genommen. Und so fällt es vielen Inszenierungen des Stoffes nicht leicht, aus „Leonce und Lena“ eine relevante Aussage für unsere Gegenwart zu gewinnen – jenseits von naheliegenden Spitzen gegen eine heute eben nicht mehr adelige Spaßgesellschaft. Was freilich auch schon wieder eher ein Begriff aus der letzten Dekade des vorigen Jahrtausends ist.
Insofern ist es vielleicht konsequent, dass K.D. Schmidt bei seiner Mainzer Inszenierung auf inhaltliche Aktualisierungsversuche verzichtet. Das Bühnenbild (Matthias Werner), das mit Hängeseilbrücken, aufblasbarem Krokodil und Matratzenstapel wie eine Mischung aus Kinderparadies, Abenteuerspielplatz und All-Inclusive-Ferienresort daher kommt, sowie die Kostüme (ebenfalls Werner) schlagen Gegenwartsbrücken – aber insgesamt präsentiert sich der Büchner-Stoff auf der U17-Bühne recht klassisch. Die schönen Regie-Ideen sind eher formaler Art – etwa wenn im Laufe des 105 Minuten langen Abends das Publikum wiederholt zum Spielpartner der Akteure wird, und am Ende sogar Luftschlangen werfen darf.
Vor allem Murat Yeginer als König Peter brilliert bei diesem Spiel mit dem Publikum. So wie seine wunderbar vertrottelte Darstellung dieser Parodie eines Herrschers, der sich aufgeklärt wähnt, aber nicht mehr als philosophisch verbrämten Unsinn produziert, insgesamt die vergnüglichste Darbietung dieses Abends ist.
Figuren sind zu wenig auf Komik gespielt
Womit wir bei dem wären, was an dieser Inszenierung nur schwer nachvollziehbar ist. Es ist nämlich keineswegs so, dass die übrigen schauspielerischen Leistungen schlecht wären – insbesondere bei Julian von Hansemann als Leonce und Gesa Geue als Lena merkt man genau, was sie können. Trotzdem springt nur sehr selten ein Funke über – und das liegt an dem manchmal nahezu heiligen Ernst, mit dem speziell von Hansemann seinen weltschmerzgeplagten Prinzen ausstattet. Dabei sind doch all diese Figuren Zerrbilder, Karikaturen von Typen, die zu Büchners Zeiten nur allzu bekannt waren: der sensible, romantisch-schwermütige und daher selbstmordanfällige junge Freigeist. Das junge Liebespaar, das sich göttlicher Fügung sei Dank zum Schluss natürlich doch zwecks Heirat findet. Oder, in der Figur des Valerio, der gewitzt-gefräßige, närrisch-subversive Diener, den Steve Karier leider mit zu wenig Esprit ausstattet. All diese Figuren müssten auf komisches Timing gespielt werden, damit Büchners ironischer Sprachwitz (Leonce zu Valerio: „Mensch, du hast mich um den schönsten Selbstmord gebracht!“) zündet, damit das Lustspiel zum Lustspiel wird. Scheinbar war das für die Regie keine Priorität – und so hat dieses Stück über Langeweile leider etliche Längen.