Donnerstag,
07.11.2019 - 00:00
3 min
Umarmungsgeste in Edelstahl

Der Bildhauer Matthias Will vor seiner neuen Freiplastik beim Parkplatz der Melibokusschule in Alsbach. (Foto: Dirk Zengel)
ALSBACH - Eine Mauer aus hellem, glattem Spezialbeton, gerundet wie der Bug eines Fährschiffs und zum Hochbeet aufgefüllt mit Erde, in der Pflanzen zur Bienenweide werden. Wie eine Kommandobrücke erhebt sich hier in Alsbach aus zarten weißen Staudenblüten ein gut meterhoher Würfel aus dem gleichen Beton. Es ist der massive Sockel für die Plastik von Matthias Will darüber: drei identisch große Kreissegmente aus Edelstahl, quadratisch im Querschnitt und sowohl aufeinander bezogen wie auf den Würfel.
Denn eines der Segmente hält Kontakt zum Sockel, gibt dem Ganzen den Fußpunkt. Zugleich ist es mit einem Partner-Stück so verschweißt, dass sie gemeinsam eine sich aufbäumende Form ergeben. Dem wird wiederum Paroli geboten vom dritten, begrenzenden wie beruhigenden Segment, das quer zu dieser Bewegung liegt. Zusammen- und in Schwebe gehalten wird das Ganze, das nach Süden und Osten merklich über den Würfelrand ausschwingt, von einem durch alle Segmente geführten, straff verzurrten Stahlseil.
Ah, meint der Betrachter: Matthias Wills buchstäblich spannungsvolles Kunstwerk „Große Kreisteilung“ ist gezielt in Richtung Mittagssonne offen gehalten, damit das Licht auf den silbrigen Flächen der Segmente reflektieren kann, über die Will wie in informellem Schlenkerduktus mit der Flex gegangen ist. Doch sofort wird er von dem Bildhauer auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. „Ich habe mir den Platz angeguckt und die beste Positionierung der Arbeit danach festgelegt, aus welcher Richtung die Autos hier ankommen“, sagt Will.
ZUR PERSON
Matthias Will wurde 1947 in Kahl am Main geboren. Nach einem Studium der Kunstpädagogik an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität (1970 bis 1973) studierte er von 1975 bis 1980 Bildhauerei an der Städelschule bei Michael Croissant. Seit 1980 arbeitet er als freischaffender Künstler. Seit 1995 ist er Mitglied der Darmstädter Sezession, seit 1998 im Vorstand. In diesem Jahr gehörte er zusammen mit der Sezessions-Geschäftsführerin Inez Gengelbach und dem Künstler Thomas Georg Blank zu dem Trio, das für die Ausstellungen und Veranstaltungen zur Hundertjahrfeier der Sezession verantwortlich zeichnete. (rhd)
Tatsächlich ist links der Betonmauer ein Parkplatz, groß genug, um von den beiden angrenzenden Schulen genutzt zu werden: von der Grundschule „Am Hinkelstein“ und vom Gymnasium „Melibokusschule“. Ihr Name findet sich, in markigen Blocklettern, auch ausgespart an den Flanken der Mauer, während an ihrer Front in gleicher Weise ein Zeichen aus drei geschwungenen Elementen eingelassen ist: das Logo der aus den Ortsteilen Alsbach, Hähnlein und Sandwiese bestehenden Verbundgemeinde. Will hat dieses Dreierprinzip für seine Skulptur aufgegriffen: „Ist doch schön, wenn man etwas hat, um sich dran zu halten.“
Nicht nur so räumt Will mit Erwartungen auf, die man vielleicht an einen Bildhauer hat, der seit über drei Jahrzehnten mit geometrischen Formen arbeitet. „Im Grunde bin ich gar kein echter Konstruktivist, ich spiele sozusagen mit dem einschlägigen Vokabular“, sagt er und erlaubt sich Assoziationen zu seiner Konstellation aus drei Kreissegmenten, über die ein konstruktivistischer Purist die Nase rümpfen würde. „Eine Umarmungsgeste ist da durchaus drin, ein Willkommenheißen.“
Beim genauen Hinschauen sind am fertigen Werk auch ein paar nicht kaschierte Arbeitsspuren wie dunkle Schmauchflecken vom Schweißbrenner zu entdecken. Sie sind ein Indiz dafür, wie fest Matthias Will sich zum handwerklichen Part seines Schaffens bekennt – und zum sportlichen Ehrgeiz, auch als 72 Jahre alter Künstler eine Zwei-Meter-Skulptur in seinem Scheunen-Atelier im Odenwälder Brombachtal bewältigt zu haben: „Man kriegt’s noch selber hin!“
Und hat anhaltenden Erfolg: Will wurde 1996 mit dem Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Bildende Kunst des Landkreises Darmstadt-Dieburg und 2004 mit dem Wilhelm-Loth-Preis der Stadt Darmstadt ausgezeichnet, 2014 folgte der erste Preis der Kommunalen Galerie in Mörfelden-Walldorf.
In sein Scheunen-Atelier hatte der Lichtenberg-Preisträger im Frühjahr vor zwei Jahren den Landrat des Kreises Darmstadt-Dieburg Klaus Peter Schellhaas zum Kennenlern-Gespräch eingeladen. Glückliches Resultat: der Auftrag für die Skulptur auf dem Vorgelände der Melibokusschule.