Zwischen Stahlwerk und Krematorium: „Rammstein“ zündete in der ausverkauften Frankfurter Commerzbank-Arena ihre brachiale Flammen-Oper.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Rammstein-Sänger Till Lindemann beim Konzert in der Commerzbank-Arena.
(Foto: Rudolf Uhrig)
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FRANKFURT - Das Vorprogramm bestreiten die beiden französischen Konzertpianistinnen Adelaide Panaget und Naira Badal. Man erkennt dahinperlende „Rammstein“-Melodien, die anfangs wie Fahrstuhlmusik klingen. Doch noch während die beiden Damen am Samstagabend in der ausverkauften Frankfurter Commerzbank-Arena musizieren, wird der Anschlag härter: Dieser Fahrstuhl wird zum Fegefeuer fahren.
Das aktuelle „Rammstein“-Album ohne Titel, aber mit einem Streichholz drauf, liefert dafür zwar nicht den stärksten Zunder in 25 Jahren Bandgeschichte, aber doch das symbolische Versprechen: Wir werden wieder zünden! Händels „Feuerwerksmusik“ ertönt, und bald verwandelt sich das Stadion unter schwarzem Rauch erst in eine Raffinerie, dann in ein Krematorium, wenn Asche auf die Menge weht. Was hier am Waldrand an Feinstaub rausgeblasen wird, langt für zwei Jahre Dieselfahrverbot in der Innenstadt.
Wobei die Band gegen Ende zum Song „Pussy“ ihre Waschanlage anwirft, Sänger Till Lindemann als Ober-Erotomane auf eine Kanone steigt und das Publikum mit Schaum-Ejakulat einer Massenbesamung unterzieht – eine saubere Sauerei. Nicht erst zu diesem späten Zeitpunkt sind die Fans beglückt. Zwar werden Witz und Ironie, die man aus Videos kennt, live zwischen Bombast und Pathos fast rückstandfrei zermahlen. Auch scheppert der Sound in der Schüssel scheußlich, wenn man oben auf den Presseplätzen sitzt. Alles nur Brei, doch der Brei dort unten auf dem Spielfeld brodelt.
Und auf die Musik kommt es hier ja auch wirklich nicht alleine an. „Rammstein“-Konzerte sind groteske Flammenopern mit Pyro-Crescendo und Nebeln des Grauens. Till Lindemann, der hier wieder das Rumpelstilzchen aus dem SM-Studio gibt, spielt zum Song „Puppe“ einen tollwütigen Knaben, der einen brennenden Kinderwagen schiebt. Keyboarder Christian Lorenz wird beim Kannibalenkracher „Mein Teil“ wie üblich erst im Kochtopf gegrillt, dann noch mal im Schutzanzug mit dem Flammenwerfer nachgegart.
Wenn sie hier nicht gerade das ganz große Theater des Schreckens aufführen, flüstert Lindemann seinen Sprechgesang durch Mark und Bein, was gravitätisch wirkt wie eine schwarzromantische Lyriklesung im Stahlwerk. Zwischendrin lässt Christoph Schneider den Marschtritt aus den Drums aufsteigen, und die Gitarren röhren wie hundert berstende Öfen beim Biker-Treffen. Da beugt Berserker Lindemann gern den Rücken und drischt den Beat in die Luft. Der Keyboarder darf auch mal im Aufzug in der Kulisse hochfahren, bei einem Technoset den Takt vorgeben, während vorne die Musiker als Leuchtlinienmännchen tanzen, was putzig bis plump aussieht. Dem Spektakel schadet es nicht.
Den richtigen Ritt auf dem Presslufthammer hat „Rammstein“ für die zweite Hälfte aufgehoben. Da blasen sie mit Klassikern wie „Du hast“ und „Du riechst so gut“ alles raus. Aber bevor sie volle Breitseite gibt, muss die Band, die zwischen Porno und Propaganda gern polarisiert und provoziert, doch noch was klarstellen. Gleich am Anfang bei „Links 2, 3, 4,“ jubelt Lindemann unmissverständlich: „Das Herz schlägt lihihihiiinks“. In der neuen Nummer „Deutschland“ gibt es Patriotismuskritik. Und beim Song „Ausländer“ winkt Lindemann dann die Band, die gerade über den Köpfen der Menge mit Schlauchbooten unterwegs ist, mit einem „Willkommen“-Schild zur Rampe.
Manchmal muss man wohl den Zeigefinger heben. Nur damit bei all dem Lärm keiner was falsch versteht.