Naturmalerei der Gegenwart im Darmstädter Atelierhaus
Die Ausstellung „Landnahme“ vereint im Darmstädter Atelierhaus Bilder von elf Künstlern, die Selbstbefragungen und Gefühle in Naturbildern ausdrücken.
Von Annette Krämer-Alig
Kulturredakteurin Darmstadt
Der Maler und Objektkünstler Georg Schrabeck hat die Gruppenausstellung „Landnahme“ im Darmstädter Atelierhaus kuratiert. Unser Bild zeigt ihn vor den Gemälden „Time 1“ und „Time 2“ von Young-Bae Kim.
(Foto: Andreas Kelm)
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DARMSTADT - „Landnahme“ hat der Maler und Objektkünstler Georg Schrabeck die von ihm kuratierte Gruppenausstellung im Darmstädter Atelierhaus genannt. Und das klinge vielleicht martialisch, wie er sagt. Doch so sei es auf keinen Fall gemeint. Seine Überzeugung sei nur, dass „jeder Künstler die Landschaft in seinem Werk für sich einnimmt“.
Diese friedfertige Okkupation gibt es seit der Romantik. Denn seitdem gibt es zwei Spielarten des Genres „Landschaft“. Da ist die möglichst perfekte Wiedergabe der Schönheit von Wiese, Berg oder Meer: der Blick aufs Äußere, der heute zumeist mit der Kamera geschieht. Noch aktuell in Kunst wie Literatur ist dagegen die „Seelenlandschaft“ – ein deutsches Phänomen, bei dem der Blick des Künstlers ins eigene Innere und auf seine Gefühle in Naturbilder übersetzt wird.
Solche Landschaften hat Schrabeck zusammengebracht. Zu sehen sind Arbeiten von elf Malern und Zeichnern; mit seiner Frau Michaela, Vera Fles-Schönegge und ihm selbst sind auch drei Atelierhaus-Künstler dabei. Als eher „klassisch“ im traurig-verhaltenen Inhalt und der Komposition als Landschaft mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund sowie Himmel kann man dabei unter anderem die Arbeiten von Vera Fles-Schönegge, Young-Bae Kim und Claudia Söding bezeichnen. „Time I“ und „Time II“ heißen beispielsweise die Großformate Young-Bae Kims – und sie zeigen sehr gegenständlich gemalt Mauerreste oder eine menschenleere Industrielandschaft, deren beste Zeit längst vorüber ist. „Sperrzone“, „Niemandsland“ und „Stolpersteine“ nennt dagegen Fles-Schönegge ihre Bilder, auf denen sie Ängste und Bedrohungen in aufgewühlte, dunkle Pinselstriche übersetzt. „Flussbett“, „Gebirge“ oder „Volcano“ verlieren schließlich in fast reliefartig dickem Auftrag von Eitempera-Farben, Steinmehl und Frescokalk bei Söding jeden realen Ort. Sie werden zu Sinnbildern für Fließen, unerreichbare Höhe, Ausgeliefertsein.
TERMIN
Die Ausstellung im Atelierhaus Darmstadt, Riedeselstraße 15, ist bis Sonntag, 8. Dezember, jeweils freitags bis sonntags von 16 bis 19 Uhr geöffnet. (aka)
Die Seelenlandschaft endet in dieser Schau aber nicht mit der abstrakten Malerei. Einige Künstler übersetzen die Unsicherheiten des modernen Ichs stattdessen in fast experimentelle Situationen. Da ist Georg Schrabeck selbst. Er kombiniert auf seinen Bildgründen schon lange Acrylmalerei, Textversatzstücke und Bleielemente. Nun zeigt er eine „Poetische Landschaft“, die ein Gedicht scheinbar willkürlich auf ein Quer- und neun Hochformate verteilt und dabei zu Versatzstücken macht: Sinnhaft kann dieses Miteinander nur im Kopf des Betrachters werden.
Einen kleinen dreiflügeligen „Altar für die Landschaft“ hat dagegen Manfred Pieck geschaffen. Fast blasphemisch übersetzt er die mittelalterliche Situation der Verehrungsstätte in ein Wandrelief, auf dem nicht Heilige zu sehen sind, die als Gegengabe für Anbetung ewiges Leben garantieren können. Stattdessen zeugt ein wilder Farbschwung in Erdtönen von Zerstörungen der Welt wie der alten Werte, und was darunter wie ein Reliquienschrein angebracht ist, trägt nicht die Knochen eines Gesalbten in sich, sondern ein verrostetes Stück Eisen.
Das „Ariadne Projekt“ von Hiltrud Gauf braucht schließlich sogar die schriftliche Erläuterung der Künstlerin, damit der Betrachter sich nicht nur in die Feinstarbeit ihrer wie willkürlich angeordneten roten Strich-Muster auf den kleinen Papieren verliebt, sondern versteht, warum dies „Landnahmen“ sind. Denn nichts erinnert an Venedig und seine bekannten Kanäle oder Fassaden. Doch tatsächlich spiegeln sich in den Mustern die komplexen Straßenzüge der Metropole am Lido: Die Künstlerin hat hier Spaziergänge auf den verwinkelten Gassen der Stadt festgehalten, die sie bei einem Studienaufenthalt gemacht hat.