Donnerstag,
18.10.2018 - 00:00
3 min
Lebensgeschichten in Bildern

Von Annette Krämer-Alig
Kulturredakteurin Darmstadt

Der Kurde Azad Heyme kam als Asylbewerber nach Darmstadt. Heute ist er international erfolgreich als Maler – und hat ein Atelier noch in der Jefferson-Siedlung, wo er zuerst untergebracht wurde. Sein Foto ist Teil der Ausstellung. (Foto: Theo Jansen)
DARMSTADT - Es sind nur 14 großformatige Fotografien. Männer wie Frauen, hier älter, da noch fast jugendlich jung, meist im Einzelporträt gezeigt, seltener in der Gruppe oder in Aktion, meist vor neutralem Hintergrund, bisweilen auch an Orten, die den Gezeigten am Herzen liegen.
Die Darmstädter Fotografen Hannelore Anthes, Theo Jansen sowie Michael Frieser zeigen diese Menschen gekonnt in der Schau „Internationale Künstler aus Darmstadt“: zwar in Szene gesetzt, aber dabei so natürlich in Mimik wie Gestik, dass der gestaltende Eingriff hinter der „Normalität“ der Gezeigten zurückzutreten scheint. Fast wie ein Hinweis darauf, dass im Vortragssaal des Darmstädter Literaturhauses doch „Kunst“-Fotografien zu sehen sind, wirkt da die Ausnahme im Fotografen-Quartett, das sich zur Gestaltung der Ausstellung zusammengefunden hat. Marina D’Oro präsentiert Fotografie-Collagen, die mit ergänzenden Texten sogar zur Wandinstallation komponiert wurden.
Urheberschaft zugunsten des Inhalts zurückgestellt
Eine ganz normale Fotografieausstellung also? Nein, man merkt sehr schnell, dass hier etwas anders ist. Da wird nicht kenntlich gemacht, wer welches Bild geschaffen hat: Die Fotografen haben die Porträtierten gemeinsam getroffen und sich erst im Nachhinein entschlossen, wessen Aufnahme gezeigt wird; sie wollen die Urheberschaft zugunsten des Inhalts zurückzustellen. Das gelingt ihnen, da in dieser Präsentation der Besucher zwar wie zur Vergewisserung immer wieder auf die Fotografien schaut, vor allem aber viel liest.
Denn in den Fotos stecken berührende Lebensgeschichten, die von den Gezeigten auf kleinen Schrifttafeln selbst erzählt werden. Für ihre Schau, die im Rahmen der Programmreihe „Meinungsfreiheit gestern und heute“ der KulturRegion Frankfurt/RheinMain entstanden ist, haben Anthes, Jansen, Frieser und D’ Oro Musiker und bildende Künstler, dazu einen Literaten, einen Architekten, einen Filmemacher und eine Journalistin besucht: Alle leben hier, haben alle aber auch den schwierigen, den „fremdländischen“ Hintergrund. Für die Freiheit ihrer Berufe haben die meisten von ihnen mit harten Biografiebrüchen umgehen müssen – sei es als DDR-Flüchtlinge der sechziger Jahre wie die Schriftstellerin Dorit Zinn oder der Maler Eberhard Malwitz, sei es als 19 Jahre junge Sängerin aus Kamerun wie Wuitana Gebremiak, die erst vor zwei Jahren auf abenteuerlichen Wegen nach Deutschland kam.
Man blickt beim Rundgang in einige Gesichter, die es in der neuen Heimat „geschafft“ haben. Der Kameruner Enoh Meyomesse beispielsweise, der in einer Nahaufnahme mit wachem Gesichtsausdruck und lebhafter Händesprache gezeigt wird. Er ist Lyriker, Romanautor, Blogger, Politologe – und in Darmstadt, weil die Schriftstellervereinigung PEN über die UN-Menschrechtskommission 2015 seine Freilassung aus einem Gefängnis seiner Heimat nach mehreren Jahren Haft und die Ausreise erreichte. Oder der syrische Kurde Azad Heyme, dessen Hahnenkampf-Bilder heute international ausgestellt werden, wobei sein Darmstädter Atelier noch immer in der Jefferson-Siedlung ist, wo er zunächst als Asylant gelebt hat.
Seit Jahren eine Größe im lokalen Kulturgeschehen ist der Gitarrist, Musikproduzent und Tontechniker Hüseyin Köroglu. Als Sohn türkischer Eltern wurde er schon hier geboren, setzt sich aber ein für die erst jetzt Gekommenen: Köroglu hat mit seiner Band Besidos und Mitgliedern des Darmstädter Staatsorchesters die Konzertreihe „Soundkitchen“ ins Leben gerufen, in der Musiker, die erst mit der letzten Flüchtlingswelle in die Stadt kamen, ihren Beruf ausüben können.
Denn diese Geflüchteten leben eben auch in der Stadt, wie viele der Bilder zeigen, und sie sind – auch in dieser Ausstellung – eine Mehrheit der Verunsicherten. Blick wie Haltung beispielsweise des Iraners Saber Niazi, der sich mit seiner Santur-Zither in einem Wald fotografieren ließ, scheinen traurig. Schließlich ist sein Zuhause aktuell eine Flüchtlingsunterkunft und noch offen, ob er bleiben darf. Direkt, aber eben auch nicht strahlend schaut die afghanische Rundfunkjournalistin Shakeela Ebrahimkil. Mit ihren drei Kindern flüchtete sie 2016 nach einem Anschlag der Taliban auf ihren Sender in Kabul, kann jetzt sogar bei der Deutschen Welle wieder im geliebten Beruf tätig sein. Aber auch ihr Asylantrag droht zu scheitern.