„Frühes Versprechen“

Mutter ist die Beste: Romain (Pierre Niney) verehrt Mama Nina (Charlotte Gainsbourg), die ihn mit ihren Erwartungen erdrückt. Foto: Camino
Wer mit dieser Mutter geschlagen ist, müsste eigentlich ein ödipaler Fall für den Therapeuten werden: Mama Nina lässt ihren kleinen Mann Schuss und Handkuss üben, damit er Ritter und Kavalier wird. Söhnchen Roman soll einmal Botschafter sein. Oder Musiker. Gerne auch ein zweiter Tolstoi. Hitler soll er auch erschießen. Vor allem aber muss der Junge der Mann im Haus sein, weil der Vater sich davongemacht hat. Und wehe, der Bub schlägt sich nicht für die Ehre seiner Mutter, dann wird Nina wild und wütend. Muttis Liebling tut denn auch alles für Mamas Anerkennung. Mit erstaunlichem Erfolg.
Unter der Last der mit absurden Erwartungen beladenen Liebe hätte ein Kind zerbrechen können, Roman Kacew, der sich später Romain Gary nannte, aber wurde Schriftsteller, Regisseur und Diplomat. In Frankreich gefeiert, in Deutschland weniger bekannt. Im Jahr 1960 verfasste er den autobiografischen Roman „Frühes Versprechen“, der 1970 von Jules Dassin schon einmal verfilmt wurde. Romain Gary steckte viel Dichtung in seinen Lebenslauf, und Regisseur Eric Barbier liest die Vorlage in seinem Film nun immer wieder augenzwinkernd als Schelmenroman voll amüsanter Anekdoten.
Das Ergebnis ist denn auch erfreulicherweise nicht noch eine Künstlerbiografie, sondern eher die märchenhafte Tragikomödie einer Kindheit und das bisweilen absurde Abenteuer der Adoleszenz. Von seinem literarischen Wirken erfährt man dabei so gut wie nichts. Aus der dramaturgisch überflüssigen Rückschau des todessehnsüchtigen Dichters betrachtet, beginnt der Film im fahlgrauen Vilnius der Zwanziger, wandert ins pastellbunte Nizza und fliegt dann düster in den Zweiten Weltkrieg nach England und Afrika. Eric Barbier blättert durch die Autobiografie wie durch das Bilderbuch eines Lebens.
ZUR PERSON
Roman Kacew (1914–1980) war Autor, Regisseur, Diplomat und Luftwaffenpilot im Zweiten Weltkrieg, wo er den Kampfnamen Romain Gary trug, unter dem er berühmt wurde. Mit seiner Dichtung begann er bereits 1935, 1956 und 1975 erhielt er den Prix Goncourt. In zweiter Ehe war Gary von 1962 bis 1970 mit der Schauspielerin Jean Seberg verheiratet, 1980 nahm er sich das Leben. (sb)
Charlotte Gainsbourg ist dabei als exzentrische Übermutter das Gravitationszentrum: Die Jüdin Nina Owczinski war Schauspielerin, bevor sie in Litauen einen Modesalon und später in Nizza ein Hotel führte. Und dabei ist die manisch frankophile Russin immer auch Diva und Diktatorin. Gainsbourg tobt und bellt durch die Jugend ihres Sohnes, der das verschreckt und fasziniert für selbstverständlich nimmt. Sei ein Genie, verlangt sie, und der Junge fügt sich.
Zwar wird Romain Gary erfolgreich und berühmt, im Film aber bleibt er neben Mutters Größenwahn klein. Pierre Niney schaut noch staunend und verschreckt auf das Geschick seiner allzeit folgsamen Figur, als die Mutter schon gar nicht mehr da ist. Wenn Romain hinauszieht zum Studium und zum Militär, erzählt der Sohn einige Episoden aus dem Roman seines Lebens, wie es ihr gefällt. Mutter hat einen Hang zur Hochstapelei, da muss der Filius sich in seinen Niederlagen eben auch mal größer machen, als er ist. Dabei führte er, schaut man auf seine Vita, ja ein staunenswertes Leben. Der Film aber verpasst dem aufstrebenden Helden immer wieder Schrumpfkuren. Gut so: Je kleiner Muttis Liebling, desto größer die Ironie.